Ferrantes Neapel. Teil 1: Der Stradone
In unserer neuen Reihe »Ferrantes Neapel« stellen wir mit Fotografien, Zitaten und einem Kommentar wöchentlich einen Ort aus Elena Ferrantes Neapolitanischer Saga vor. Dieser erste Teil ist dem Stradone gewidmet.
»Ständig fuhren Züge im umliegenden Brachland vorbei, Autos und Lastwagen fuhren den Stradone hinauf und hinunter, und doch kann ich mich nicht entsinnen, mich selbst, meinen Vater oder unsere Lehrerin nur ein einziges Mal gefragt zu haben: ›Wohin fahren die Autos, die Lastwagen, die Züge, in welche Stadt, in welche Welt?‹«
© Moritz Müller-Schwefe / Corinne Orlowski
In welche Welt führt der Stradone? Tatsächlich ist er heute mehr Verbindung als Straße. Auf der einen Seite der Rione mit seinen heruntergekommenen Mietskasernen, den Wäscheleinen, den kleinen Gemüsehändlern und Bars, auf der anderen die wuchtigen Wohnblocks des in den Achtzigern aus dem Boden gestampften Centro Direzionale mit seinen Glasfassaden, Stahlkonstruktionen und seiner irritierend futuristischen Architektur. Die Straße selbst ein Unort: kaum Fußgänger zu sehen, bloß Autos, Busse, Lastwagen – Müll und Staub.
»Der Anblick der Leute, der Wohnblocks, des vielbefahrenen, staubigen Stradone wirkte auf mich wie ein Zeitungsbild in miserabler Druckqualität.«